Darum hatte das FBI eine 1.400 Seiten dicke Akte über Einstein (2024)

Albert Einstein war bereits ein weltberühmter Physiker, als das FBI im Dezember 1932 eine Geheimakte über ihn anlegte. Er und seine Frau Elsa waren gerade aus ihrer Heimat Deutschland in die USA ausgewandert und Einstein äußerte sich lautstark zu den sozialen Belangen seiner Zeit. Unter anderem sprach er sich öffentlich gegen Rassismus und Nationalismus aus.

Zum Zeitpunkt seines Todes am 18. April 1955 würde die Akte des FBI 1.427 Seiten umfassen. Der Leiter der Behörde, J. Edgar Hoover, hegte ein tiefes Misstrauen gegenüber Einsteins Aktivismus. Laut Hoover war es gut möglich, dass der Mann Kommunist sei, aber mit Sicherheit war er „ein extremer Radikaler“.

Einstein selbst hätte über diese Bezeichnungen wahrscheinlich laut gelacht, wenn er von ihnen gewusst hätte. Von den Nazis zu Hause hatte er sich weitaus Schlimmeres anhören müssen. Und er ließ sich von der Bürokratie absolut nicht einschüchtern. "Autoritätsdusel ist der größte Feind der Wahrheit", erklärte er 1901.

Die Tausenden von Menschen, die auf diversen Instanzen des March for Sciencedemonstrieren, würden sicher zustimmen.

In den USA wird der Protestmarsch von Kürzungen des nationalen Wissenschaftsbudgets und der antiwissenschaftlichen Rhetorik der Trump-Regierung motiviert. Wissenschaftler, Lehrer und andere Verfechter der Wissenschaft organisieren einen Protest in Washington ähnlich dem Women‘s March vom Januar. Die Bewegung ist mittlerweile gewachsen und schließt Hunderte von Demos in Städten auf der ganzen Welt ein.

Die Demonstranten sagen, dass sie für all das marschieren, was die Wissenschaft repräsentiert: Vernunft, Aufgeschlossenheit und evidenzbasierte Entscheidungsfindung auf jeder Ebene der Gesellschaft.

Obwohl der Protest die Unterstützung von mehr als 170 wissenschaftlichen Organisationen genießt, haben sich die Teilnehmer auch angesichts hitziger Debatten zwischen Wissenschaftlern selbst mobilisiert. Wie ein skeptischer Geologe in der New York Times schrieb, würde der Protestmarsch „nur dazu dienen [...] Wissenschaftler zu einer weiteren Gruppe zu machen, die sich in den Kulturkriegen verliert.“

Aber wenn man Einsteins rebellisches Leben bedenkt, dann handeln die Unterstützer des March for Science im Geiste eines der größten Wissenschaftler, der je gelebt hat.

Einsteins ungehorsame Einstellung hatte dafür gesorgt, dass er mit 15 von der Schule flog, weshalb er seine Staatsangehörigkeit mit 17 aufgab. Er wollte nichts mehr mit den autoritären deutschen Schulen und dem grassierenden Militarismus zu tun haben, den er verachtete.

Stattdessen besuchte Einstein das Polytechnikum in Zürich in der Schweiz und nahm die schweizerische Staatsbürgerschaft an. Nach seinem Abschluss arbeitete er in einem Patentbüro in Bern, wo er 1905 seine revolutionäre Arbeit über Relativität und Quantentheorie verfasste.

Einstein kam erst 1914 wieder nach Deutschland zurück, als seine Leistungen ihm eine renommierte Lehrstelle an der Universität Berlin einbrachten. Dort entwickelte er seine Vorstellungen von Relativität und Gravitation weiter, die 1919 auf spektakuläre Weise durch die Beobachtung einer Sonnenfinsternis bestätigt wurden und unser Verständnis des Universums seither geprägt haben.

Die aufsteigende Nazi-Partei denunzierte die Relativität schon bald als „eine jüdische Perversion“ – dem 1920er-Äquvalent zu „Fake News“ – und Einstein erhielt so viele anonyme Todesdrohungen, dass er es zu vermeiden versuchte, allein unterwegs zu sein.

Aber die Drohungen ließen ihn nicht verstummen. Stattdessen nutzte er seine neugewonnene Berühmtheit immer wieder, um sich gegen die Missstände in der Welt auszusprechen. Beim Schweigen im Angesicht des Bösen, so sagte er einst, „hätte ich mich der Mittäterschaft schuldig gefühlt.“

Er denunzierte militanten Nationalismus. Als „Masern der Menschheit“ bezeichnete er ihn 1929.

Er hinterfragte auch den Kapitalismus. „Die sozialen Klassenunterschiede empfinde ich nicht als gerechtfertigt und letzten Endes (…) [beruhen sie] auf Gewalt (…)“, schrieb er 1931. „Jeder soll als Person respektiert und keiner vergöttert sein.“

Er protestierte gegen Rassismus. Als 1937 der afroamerikanischen Sängerin Marian Anderson ein Hotelzimmer in Einsteins neuer Heimatstadt Princeton, New Jersey verwehrt wurde, luden er und Elsa sie ein, bei sich zu bleiben – der Beginn einer lebenslangen Freundschaft. Er freundete sich auch mit dem afroamerikanischen Sänger Paul Robeson an, der als Kommunist geächtet wurde. In einer Ansprache an der historisch schwarzen Liberty University in Pennsylvania erklärte Einstein, die Rassentrennung sei „eine Krankheit der Weißen“.

Nach 1933 zwang der Aufstieg Hitlers Einstein einzugestehen, dass bloßer Pazifismus nicht länger realistisch war. Im August 1939 schrieb Einstein einen Brief an US-Präsident Franklin D. Roosevelt – aus Angst, dass deutsche Physiker sich eilten, das neu entdeckte Phänomen der Kernspaltung auszunutzen –, in dem er davor warnte, dass „das Element Uranium in der unmittelbaren Zukunft eine neue und wichtige Energiequelle werden könnte“, sprich: eine Bombe.

Roosevelts Antwort war das Manhattan-Projekt: ein Sofortprogramm, um die Atombombe vor Hitler zu entwickeln.

Einstein spielte in dem Projekt keine weitere Rolle. Aber im Sommer 1945 schrieb er einen weiteren Brief an den Präsidenten, in dem er ihn dazu drängte, sich mit den Wissenschaftlern des Manhattan-Projekts zu treffen. Diese waren besorgt über die Eile, mit der die Fertigstellung der Bombe und ihr anschließender Einsatz vorangetrieben wurde, obwohl Deutschland fast besiegt war und seine Arbeit mit Uranium eindeutig aufgegeben hatte.

Roosevelt starb am 12. April, bevor er den Brief lesen konnte. Als Einstein im August erfuhr, dass eine Atombombe über der japanischen Stadt Hiroshima abgeworfen wurde, konnte er nur noch flüstern: „Oh mein Gott.“

Für den Rest seines Lebens trat er unermüdlich dafür ein, dass Nuklearwaffen unter irgendeine Art der internationalen Kontrolle gestellt würden. Im Atomzeitalter, so argumentierte er, war Krieg zu einer Form des Wahnsinns geworden.

Wir können nur raten, was Einstein zur heutigen politischen Atmosphäre gesagt hätte. Aber wir kennen seine Reaktion auf eine frühere Ära des scharfen Vorgehens durch die Regierung: die antikommunistische Hysterie der 1950er.

„Jeder Intellektuelle, der vor eines der Komitees beordert wird, sollte die Aussage verweigern“, erklärte Einstein 1953.

Mit der Aussage verdiente er sich empörte Leitartikel in Zeitungen des ganzen Landes, einschließlich der Washington Post und der New York Times. Aber er trug ihre Verachtung mit Stolz.

Nach seinen persönlichen Erfahrungen mit der „brutalen Gewalt und Angst“, die sich in Europa ausbreitete, beeindruckte Einstein an Amerika am meisten „die Toleranz des Landes für Freidenkertum, Redefreiheit und unangepasste Überzeugungen“ – jene Qualitäten, die schon immer auch seine Wissenschaft angeregt hatten, sagt sein Biograf Walter Isaacson.

Einstein würde nicht einfach nur dastehen und zusehen, während sich – in den Worten des großen Physikers – „die deutsche Katastrophe der Vergangenheit wiederholte.“

Der Artikel wurde am 19.04.2017 ursprünglich in englischer Sprache auf NationalGeographic.com veröffentlicht

Darum hatte das FBI eine 1.400 Seiten dicke Akte über Einstein (2024)

References

Top Articles
Making Okta Customers Unstoppable: A Day in the Life with Scott Campbell
Campbell's Employee Benefits | Login / Register / Enroll | Benefits Account Manager
Amc Near My Location
Goodbye Horses: The Many Lives of Q Lazzarus
Cash4Life Maryland Winning Numbers
Coffman Memorial Union | U of M Bookstores
Polyhaven Hdri
Craigslist Vermillion South Dakota
Jesse Mckinzie Auctioneer
Cosentyx® 75 mg Injektionslösung in einer Fertigspritze - PatientenInfo-Service
Catsweb Tx State
Ucf Event Calendar
Current Time In Maryland
ᐅ Bosch Aero Twin A 863 S Scheibenwischer
Pricelinerewardsvisa Com Activate
Straight Talk Phones With 7 Inch Screen
Gdlauncher Downloading Game Files Loop
Bj Alex Mangabuddy
Energy Healing Conference Utah
UPS Store #5038, The
Long Island Jobs Craigslist
Culver's Flavor Of The Day Taylor Dr
Marion City Wide Garage Sale 2023
Chicago Based Pizza Chain Familiarly
John Deere 44 Snowblower Parts Manual
Viduthalai Movie Download
101 Lewman Way Jeffersonville In
Past Weather by Zip Code - Data Table
Housing Intranet Unt
Progressbook Newark
Rund um die SIM-Karte | ALDI TALK
Worlds Hardest Game Tyrone
Navigating change - the workplace of tomorrow - key takeaways
4083519708
Dr Adj Redist Cadv Prin Amex Charge
Pawn Shop Open Now
Tokyo Spa Memphis Reviews
Hingham Police Scanner Wicked Local
Google Chrome-webbrowser
Gpa Calculator Georgia Tech
8 Ball Pool Unblocked Cool Math Games
B.C. lightkeepers' jobs in jeopardy as coast guard plans to automate 2 stations
R/Moissanite
Tricia Vacanti Obituary
Blow Dry Bar Boynton Beach
Pas Bcbs Prefix
tampa bay farm & garden - by owner "horses" - craigslist
Best Restaurant In Glendale Az
Bbwcumdreams
Itsleaa
Craigslist Farm And Garden Missoula
Latest Posts
Article information

Author: Jonah Leffler

Last Updated:

Views: 5675

Rating: 4.4 / 5 (65 voted)

Reviews: 80% of readers found this page helpful

Author information

Name: Jonah Leffler

Birthday: 1997-10-27

Address: 8987 Kieth Ports, Luettgenland, CT 54657-9808

Phone: +2611128251586

Job: Mining Supervisor

Hobby: Worldbuilding, Electronics, Amateur radio, Skiing, Cycling, Jogging, Taxidermy

Introduction: My name is Jonah Leffler, I am a determined, faithful, outstanding, inexpensive, cheerful, determined, smiling person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.